Was in globalen Berichterstattungen über Afghanistan, worin Konflikte und Krisen dominieren, viel zu selten auftaucht: die kulturelle Vielfalt und der kulturelle Reichtum des Landes, insbesondere des jahrtausendealten Handwerks. Die Geschichte der Goldschmiedekunst reicht ebenfalls viele tausende Jahre zurück und auch heute noch wird Schmuck von Kunsthandwerkenden mit ungeheurem Geschick unter Verwendung einer Reihe traditioneller Techniken wie Sandguss, Wachsausschmelzverfahren, Stempeln, Gravieren, Emaille-Einlagen und dem sorgfältigen Verdrillen und Sodieren von Draht hergestellt. Weil diese Techniken sehr anspruchsvoll sind, bedarf es einer fundierten Ausbildung und einer besonderen Begabung bei den Goldschmied*innen. Aufgrund dieses hohen Anspruchs genießt diese Tätigkeit ein hohes Ansehen in der afghanischen Gesellschaft.
Für die Herstellung der FOLKDAYS presents SEVAR Studios-Schmuckstücke arbeiten Hila und Wana Limar mit einem Goldschmied* zusammen, der eine kleine Werkstatt in Kabul, der Hauptstadt Afghanistans, betreibt. In der afghanischen Handwerkskunst unterscheidet man zwischen Hakak (Edelstein-Schleifer) und Goldschmied. Ein Hakak verarbeitet die Halbedelsteine zu hochwertigem Schmuck. Bevor ein Halbedelstein in Silber oder Gold eingefasst wird, gehören zu den Arbeitsschritten das Schleifen, Fassen und Facettieren – Tätigkeiten, die einiges an Geschick und praktischer Erfahrung verlangen. In seiner Werkstatt beschäftigt der Goldschmied sowohl einen Hakak als auch weitere Goldschmiede.
Auf Grundlage von Skizzen, die Hila und Wana Limar zur Verfügung gestellt haben, fertigen der Goldschmied und sein Team die Ohrringe der FOLKDAYS presents SEVAR Studios-Kollektionen an. Dafür verarbeiten sie hochwertiges 925er-Silber und intensiv dunkelblauen Lapislazuli in sorgfältiger Handarbeit. Zunächst wird dafür das Rohmaterial mit einer Stahlschere oder Säge in Form gebracht und durch Feilen weiter konturiert. Anschließend werden Drahtteile genau zugeschnitten, gebogen und an die Silberstücke gelötet. Der Hakak bearbeitet zudem den Stein, der in Form geschlagen, geschliffen sowie poliert wird. Anschließend werden die Steine und Silber-Ornamente durch Silberfäden verbunden. Zuletzt erfolgt das Polieren des fertigen Silberschmucks, der nun noch einen Stempel mit der Legierungsqualität (925) erhält. Im letzten Schritt werden die Ohrringe mit recyceltem Gold plattiert.
Update von SEVAR Studios zum Launch der zweiten Kollektion im Dezember 2021:
Nach dem Fall von Kabul am 15.08.2021 und der Machtübernahme der Taliban pausierte das Leben des Goldschmieds für einige Wochen und so auch seine Arbeit. Als Goldschmied hatte er unter anderem erfolgreich mit internationalen Marken wie SEVAR Studios kooperiert und fand sich nun mit der Ungewissheit konfrontiert, ob eine solche Zusammenarbeit in Zukunft geahndet werden würde. Aufgrund dessen entschloss er sich dazu, seine Werkstatt zu schließen und wartete ab. In der darauffolgenden Zeit verschlechterte sich die ökonomische Situation in Afghanistan jedoch erheblich: Die Arbeitslosigkeit stieg und mit ihr auch die Lebensmittel- und Lebenshaltungskosten. Durch diese Umstände sah sich der Goldschmied nach drei Wochen gezwungen, seine Arbeit in der Werkstatt wieder aufzunehmen. Da die Produktion für SEVAR Studios noch nicht beendet war, beschloss er trotz der unsicheren Lage, diese fertigzustellen. Normalerweise wird die Vielzahl von Arbeitsschritten, die für das aufwendige Handwerk benötigt wird, auf mehrere Personen aufgeteilt. Um seine Mitarbeitenden jedoch nicht zu gefährden, fertigte der Goldschmied die ausstehenden Schmuckstücke alle selbst an – was zu einer Verzögerung der Produktionsprozesse führte. Während die anderen ausländischen Kund*innen infolgedessen ihre Aufträge pausierten oder gar cancelten und zeitgleich der afghanischen Bevölkerung in der Wirtschafts- und humanitären Krise die finanziellen Mittel fehlen, um sich neuen Schmuck leisten zu können, sicherte die Zusammenarbeit mit SEVAR Studios dem Goldschmied und seinen Mitarbeitenden den Lebensunterhalt.
*Wir führen hier nur eine allgemeine Benennung des Partners auf, um niemanden durch die Zusammenarbeit einer Gefahr auszusetzen.